Die dissoziative Amnesie ist eine psychische Erkrankung, die sich in Form von Gedächtnisstörungen bzw. Erinnerungslücken äußert, welche über das normale Maß von Vergesslichkeit hinausgehen. Die Krankheit gehört zur Gruppe der dissoziativen Störungen. Dissoziative Amnesie kann auch als Symptom anderer dissoziativer Störungen auftreten (z.B. DIS, NNBDS oder dissoziative Fugue).
Krankheitsbild und Symptome der dissoziativen Amnesie
Das Hauptmerkmal der dissoziativen Amnesie ist die Unfähigkeit, sich an wichtige persönliche Informationen erinnern zu können. Betroffene berichten davon, dass sie eine oder mehrere Lücken in der Erinnerung an Aspekte der Lebensgeschichte haben. Die Amnesie ist dabei zu umfassend, um durch gewöhnliche Vergesslichkeit erklärt werden zu können.
Die Amnesien bestehen zumeist bzgl. Erinnerungen, die traumatischer oder zumindest extrem belastender Natur sind. Die dissoziative Amnesie stellt eine Art Schutzfunktion dar, indem sie die Betroffenen davor bewahrt, sich erneut mit den belastenden Erlebnissen auseinandersetzen zu müssen.
Der Zeitraum der Amnesien kann einige Minuten bis Jahrzehnte betragen. Bei einzelnen Traumatisierungen kann es vorkommen, dass Teile des Ereignisses oder das gesamte Ereignis nicht mehr erinnerbar sind. Bei wiederholten oder langanhaltenden Traumatisierungen, insbesondere wenn sich diese in der Kindheit ereignet haben, bestehen die Amnesien häufig über längere Zeiträume, zum Teil bis hin zu Jahren oder sogar Jahrzehnten.
Betroffene, die eine dissoziative Amnesie zu einem traumatischen Erlebnis entwickelt haben, besitzen teilweise eine Prädisposition für weitere Amnesien, d.h. die Wahrscheinlichkeit ist höher, auch für spätere traumatische Erlebnisse Amnesien zu entwickeln.
Einige Betroffene leiden auch unter Alltagsamnesien, bei denen alltägliche, nicht-traumatische Situationen und Handlungen nicht erinnert werden können. Diese können durch kleinere Belastungen oder auch spontan im täglichen Leben auftauchen. Bei den Alltagsamnesien handelt es sich um ein chronifiziertes Traumafolgesymptom, das häufig als Folge besonders schwerer oder wiederholter Traumatisierungen im Kindes- oder Jugendalter auftritt.
Betroffene sind sich oft der Amnesien nicht bewusst oder spielen die Auswirkungen der Amnesien herunter. Einige Betroffene leugnen die Amnesien und neigen dazu, diese weiter zu ignorieren. Dieses Verhalten kann als Schutzmechanismus verstanden werden, sich mit der Ursache der Amnesien, den traumatischen Erinnerungen, nicht zu konfrontieren.
Formen der dissoziativen Amnesie
Es gibt fünf unterschiedliche Formen der dissoziativen Amnesie:
Die Erinnerungen kommen zurück
Dissoziative Amnesien sind reversibel, d.h. die Erinnerungen können in das Bewusstsein zurückkehren. Dieser Prozess kann gezielt in einer Traumatherapie angestoßen werden. Betroffene bearbeiten dann die wiederkehrenden Erinnerungen Schritt für Schritt, mit dem Ziel, von den traumatischen Erinnerungen nicht überwältigt zu werden. Im Rahmen der Therapie erlernen sie Techniken, mit den belastenden Erinnerungen umzugehen und diese schließlich in ihre Lebensgeschichte zu integrieren.
Amnesien können auch ohne Traumatherapie spontan abklingen, beispielsweise wenn ein Soldat das Kriegsgebiet verlässt und in die Heimat zurückkehrt.
Die Fähigkeit des Gehirns, dissoziative Amnesien aufrecht zu erhalten, lässt mit zunehmendem Alter nach. So können Erinnerungen an traumatische Erlebnisse mit zunehmendem Alter von alleine zurückkehren.
Kommen überwältigende Erinnerungen in das Bewusstsein zurück, kann dies zu einer erheblichen Belastung der Betroffenen führen. Oftmals entwickeln Betroffene dann Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung. Bei einigen Betroffenen besteht aufgrund der sich aufdrängenden Erinnerungen sogar Suizidgefahr. Die neuen Erinnerungen sind – zumindest noch für den Moment – zu überwältigend.
Dissoziative Amnesie – ICD-10 und DSM-5
In der ICD-10 und im DSM-5 ist die dissoziative Amnesie jeweils unter den dissoziativen Störungen klassifiziert. In der ICD-10 ist sie unter dem Code F44.0 vorzufinden. Im DSM-5 wird bei der Codierung unterschieden, ob zusätzlich eine dissoziative Fugue (plötzliches und unerwartetes Verlassen der gewohnten Umgebung, kombiniert mit der Unfähigkeit, sich an Teile oder die gesamte Vergangenheit erinnern zu können) vorliegt. Der Code für die dissoziative Amnesie ohne Fugue ist 300.12. Liegt zusätzlich eine Fugue vor, wird der Code 300.13 verwendet.
Häufigkeit
Studien zufolge beträgt die Häufigkeit der dissoziativen Amnesie in etwa 2 Prozent bezogen auf die Allgemeinbevölkerung. In Deutschland sind schätzungsweise 1,5 Mio. Menschen von dissoziativer Amnesie betroffen. Frauen sind dabei ungefähr dreimal so häufig betroffen wie Männer.
Ursachen
Ursachen für dissoziative Amnesien sind traumatische Erlebnisse oder extrem belastende Ereignisse. Im Hochstress des Traumas kommt es zu einer Art Überforderung der integrativen Fähigkeiten und Gedächtnisfunktionen des Gehirns. Das Erlebte kann dann oftmals nicht oder nur bruchstückhaft abgespeichert werden und es kommt zur Amnesie.
Die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine dissoziative Amnesie bei traumatischen Ereignissen entwickelt, hängt vor allem mit dem Ausmaß und der Häufigkeit der Traumatisierungen zusammen. Je stärker der traumatische Einfluss ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine dissoziative Amnesie entwickelt.
Diagnose
Zur Diagnose der dissoziativen Amnesie müssen vier Kriterien erfüllt sein.
Kriterium A:
Unfähigkeit, sich an wichtige persönliche Informationen erinnern zu können, die zumeist traumatischer oder belastender Natur sind. Diese ist zu umfassend, um durch gewöhnliche Vergesslichkeit erklärt werden zu können.
Kriterium B:
Die Symptome verursachen in klinisch bedeutsamer Weise Leid oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen.
Kriterium C:
Die Störungen gehen nicht zurück auf körperliche Auswirkungen einer Substanz (z.B. Alkohol, Drogen oder Medikamente) oder einen neurologischen oder anderen medizinischen Krankheitsfaktor (z.B. komplex-partielle Anfälle, transiente globale Amnesie, Kopfverletzungen oder Schädel-Hirn-Trauma).
Kriterium D:
Die Amnesien lassen sich nicht besser durch folgende Krankheiten erklären: Dissoziative Identitätsstörung (DIS) / Multiple Persönlichkeitsstörung (MPS), posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), akute Belastungsstörung, Somatisierungsstörung oder neurokognitive Störungen (z.B. Demenz).
Die dissoziative Amnesie ist besonders bei Kindern schwer zu diagnostizieren, da sie sich mit Unaufmerksamkeit, Lernstörungen und entwicklungsbedingter, angemessener Kindheitsamnesie (schwächer werdende Erinnerungen an Ereignisse vor dem 5. Lebensjahr) vermischen kann. Darüber hinaus ist es schwierig, Kindern verständliche Fragen über Amnesien zu stellen. Beurteilungen von mehreren Personen (Lehrern, Therapeuten, Eltern, etc.) können hilfreich sein.
Differenzialdiagnose
Bei der Diagnose der dissoziativen Amnesie sind folgende Differenzialdiagnosen zu berücksichtigen:
Therapie
Für Betroffene von dissoziativer Amnesie ist Psychotherapie das Mittel der Wahl. Die Therapie sollte dabei von Therapeuten durchgeführt werden, die über fundierte Erfahrungen im Bereich der dissoziativen Störungen verfügen.
Verschiedene Therapieformen sind zur Behandlung der dissoziativen Amnesie möglich. Die Art der Therapie sollte vor allem davon abhängig sein, welche und wie viele weitere dissoziative Symptome vorliegen (siehe Die 24 Symptome dissoziativer Störungen).
Bei einfachen dissoziativen Störungen sind die Arbeit an den auslösenden Situationen sowie die Verbesserung der Affektwahrnehmung und der Affekttoleranz zu empfehlen. Bei komplexeren dissoziativen Störungen (NNBDS, DIS) müssen störungsspezifische Therapiemethoden angewendet werden, mit denen die dissoziativen, amnestischen Barrieren systematisch verringert werden. Durch die Verringerung der amnestischen Barrieren kommen traumatische Erinnerungen sukzessive ins Bewusstsein zurück und können behutsam integriert werden.
Begleiterkrankungen
Die dissoziative Amnesie hat oftmals psychische Begleiterkrankungen zufolge. Die folgenden Begleiterkrankungen sind häufig vorzufinden:
QUELLE IM INTERNET http://posttraumatische-belastungsstoerung.com/dissoziative-amnesie